In der Zeit des Herzens

…hatte ich zwei Erfahrungen, die mich besonders berührt haben. Zum einen war es der Moment, in dem sich mein latent trotziges, lebenslanges „Nein, ich mache nicht, was ihr wollt!“ in ein ganz tief von innen kommendes beglückendes „Ja!“ zum Leben gewandelt hat, das mich weit nach oben öffnet und direkt und froh und voller Sonne und Helligkeit mit dem Leben verbindet. Tagelang rufe ich dieses „Ja!“ laut im Auto und bin erstaunt, wie leicht sich dadurch meine Laune verändert und mich glücklich lachen lässt. Der Kanal zu diesem Gefühl ist offen geblieben und jederzeit abrufbar.
Die zweite Erfahrung kam zu mir in einem Traum, in dem ich die verschiedensten Berufe ausprobiert habe, um dabei festzustellen, dass sie mich alle nach kurzer Zeit langweilen und nur mein realer jetziger Beruf mir auch nach längerer Zeit immer noch spannend und interessant erscheint. Seit diesem Traum habe ich mehr Freude an meiner Arbeit, sie fällt mir leichter, ich bin lockerer und freier im Umgang mit Kunden. Sie erscheint mir nicht mehr als Belastung, Zumutung oder Zwang, so wie früher, und morgens freue ich mich oft richtig darauf, aufzustehen und ins Studio zur Arbeit zu gehen.

Auch das Wochenende der Milz
beginnt während der ersten He-Übung mit einem schönen Erlebnis: In meiner Vorstellung laufe ich über einen Regenbogen und neben mir, ganz nah, warm, lebendig und mir zugewandt, spazieren die Krafttiere meiner Freunde und plötzlich “weiss“ ich mit all meinen Sinnen, dass ich – tatsächlich – Freunde habe.
Es ist eine Gewissheit, die mich selbst erstaunt, da ich sie offenbar niemals an mich heranlassen konnte und während ich dies niederschreibe muss ich weinen, genauso wie an dem Wochenende selbst. Sie macht mich glücklich, aber auch sehr traurig, vielleicht weil in meinem Leben so viel Zeit vergangen ist, in der ich nicht daran geglaubt habe, mich sehr einsam gefühlt habe und gleichzeitig fast unerträglich abhängig war von der Zuwendung anderer Menschen.
Körperlich empfinde ich diesen Moment, als würde in mir ein Damm reissen und in einer riesigen Welle brechen Gefühle und eine Flut heftiger Energie über mich herein und bringen mich völlig aus dem Gleichgewicht.
Mir wird schlecht, ich habe Magenschmerzen, muss mich übergeben und habe das ganze Wochenende über wasserähnlichen Durchfall. Außerdem bin ich so schlapp, dass ich kaum noch auf dem Stuhl sitzen kann, nichts essen möchte und die Pausen verschlafe.

Auch nach dem Wochenende baut sich meine Energie nur langsam wieder auf. Fast eine Woche lang fühle ich mich wie unter einer Glocke, ganz weit weg von dem realen Leben. Ich gehe zur Arbeit, zu Sitzungen und Präsentationen, und kann mich abends kaum noch daran erinnern. Ich bin sehr unkonzentriert oder – anders ausgedrückt – völlig und ausschließlich konzentriert auf mich selbst. Ich bin wie in einem Kokon, ganz allein mit mir, ich bewege mich sehr langsam, esse langsam, trinke langsam, und fühle mich dabei wohl, wenn auch sehr erschöpft – früher hätte ich vermutlich gesagt: ich sei krank…
In diesen Tagen begreife ich zum ersten Mal ganzheitlich, wie und dass Krankheit und Gesundheit lediglich ein Ausdruck von meiner Energie sein können.
Nach einem kleinen Zusammenstoss mit einem Fahrradfahrer, bei dem meine Einkaufstüten zu Boden fallen und zerplatzen, ändert sich dieser schwebende Zustand. Der Schock wirft mich in die Wirklichkeit zurück und ich reagiere plötzlich wieder genauso schnell wie früher.

In meinen Träumen laufe ich viel, immer mit dem Auftrag, etwas aufzuarbeiten.
Einmal stehe ich am Meer, alles sieht verschmutzt aus wie auf einem Bild. Ich ziehe deshalb mehrere Male hintereinander eine Folie ab, die seit Generationen darüberliegt, und danach ist alles wieder strahlend grün, die Sonne kommt um die Ecke und ich kann mühelos und ohne auf den Boden schauen zu müssen, kilometerweit an der Küste entlang laufen.
In Wirklichkeit aber bleibt mein Zustand in den nächsten Wochen eher langsam und obwohl ich deutlich weniger Süssigkeiten esse, als in der Zeit des Herzens, fühle ich mich schwer und unbeweglich und habe das Gefühl, dass ich immer dicker werde. Ich mag mich eigentlich gar nicht bewegen und selbst meine täglichen situps mache ich nur widerwillig, so als wäre da irgendwo ein Stau, ein Wall, ein Widerstand, ein Propfen, der feststeckt und noch herausgezogen und entfernt werden muss.

Es erinnert mich ein bischen an meine Wohnungssuche, die auch nicht recht vorwärts kommt, da ich immer noch nicht weiss, wie, wo und mit wem ich eigentlich wohnen möchte. Innerlich weiss ich auch, dass es für eine Entscheidung noch zu früh ist und ich noch abzuwarten sollte.

Bei den Hu-Übungen habe ich bei den ersten Atemzügen oft Mühe, mich zu konzentrieren. Manchmal bin ich ganz heiser, bringe kaum einen Ton heraus oder die Stimme wackelt wie im Stimmbruch.
Auf der anderen Seite habe ich wieder Lust zu singen und gerate durch Zufall in einen Gesangsworkshop, der zum freien singen sogenannter „heilender Lieder“ einlädt. Ohne Zwang und Leistungsstress improisieren wir freie Töne und es ist wie ein Spiegel unserer Übungen, wenn sich zum Schluss alle Stimmen in einer Säule aus Klang nach oben öffnen und sich die verschiedenen Strophen, gleichzeitig gesungen, wie zu einer Symphonie vereinen.

Auch mit anderen Gruppen und vielen neuen Menschen nehme ich Kontakt auf und so gesehen hat sich in der Zeit der Milz doch etwas bewegt. Wenn ich mich also heute frage: „Wie geht es meiner Milz?“ würde ich sagen: Sie hat sich befreit und gereinigt, drängt zum Aufbruch und fühlt sich jung und frisch an.

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